Gerade habe ich ein hübsches kleines Buch ausgelesen, um das vielerorts ein mir seitdem nicht mehr verständlicher Staub gewirbelt wurde. Dabei ist es ein bemerkenswert unstaubiges Büchlein, schon vom Titel her: „Feuchtgebiete“. Eine Krankenhausgeschichte mit Happy End, traditionell eher etwas für die reifere Generation, an die es sich scheinbar im Prolog schon wendet, in einer erklärten Ablehnung der Pflege im Heim zu Gunsten der Heimpflege der Eltern, die für ein Scheidungskind dadurch erschwert sei, dass die Elternteile erst von ihrem jeweiligen Lebensabschnittspartner zu trennen seien. Dieses Dilemma versucht die Heldin Helen vorab zu lösen.

Das Scheidungskind, eben 18, doch schon steril, ist gleichzeitig bemüht, ihrem mythischen Vorbild zu entsprechen und von wirklich jedem Mann begehrt zu werden. Dabei wendet sie lustige Tricks an, und auch sonst endet ihr selbstbezogener Körperkult nicht an den Grenzen, die traditionell als das Gebiet der Kosmetik gelten. Im Gegenteil: Die Heldin hat überhaupt kein Gesicht, nur Wimpern.

In überzeugend grauenhaftem Deutsch schildert die gymnasiale Göre ihre Wirrungen zwischen oraler, analer und genitaler Fixierung und völligen Haltlosigkeit. Das Ganze, wie schon erwähnt, im Rahmen einer Krankengeschichte, die in fast spätmittelalterlicher Drastizität die Körperlichkeit jenseits von Antlitz und Busen zum Thema hat: Diagnose: Infektion nach Verletzung bei Intimrasur. Die Gelegenheit soll genutzt werden, die erzwungene glückliche Infantilisierung durch den Krankenstand zum Mittel zum Zweck der Familienrückzusammenführung werden: Am Krankenbett der Tochter sollen die Eltern sich in Sorge wiedervereinigen und die kleine Welt der kleinen Helen wieder heile werden. Das klappt nicht, Helen versucht, sich selbst verstümmelnd, den Krankenhausaufenthalt zu verlängern, überlebt nur knapp und wird vom deus ex machina, Robin, dem Pfleger und Rächer der Enterbten, in eine vielleicht strahlende Zukunft entführt.

Eine hübsche kleine Geschichte, die ohne das der Popliteratur eigene Gemisch aus reichlich Drogen, Konsum, Langeweile und unglaublicher sexueller Daueraktivität vielleicht sogar das Zeug zu einer großen Geschichte gehabt hätte. Eine traurige, unglaubliche Geschichte. Trotz Happy End, trotz Ansiedlung im allgegenwärtigen Milieu von Tristesse und Krankenhaus. Ein Versuch, sich dem gebrochenen Generationenvertrag zu nähern, dem abwesenden Vater, der verpatzten Mutterschaft. Am besten gefielen die Kämpfe der abwechselnd stinkigen, dann wieder innerlich waschgezwungenen Heldin gegen die Windmühlen des antimikrobiellen Regimes, vulgo Hygiene: Das ist ein erfrischendes Credo für den individuellen Geruch, gegen verordnete Parfümierung, wenn es auch zum Teil ein wenig lächerlich wirkt, ein bisschen überladen mit Symbolen und Körperflüssigkeiten aller Art und den unvermeidlichen Versatzstücken der Pornokultur: Ohne Anal bist du nicht normal. Eben ein typisches Stück Popliteratur. Natürlich im rosa Einband.

Fazit: Nicht schön, aber hübsch und stellenweise richtig lustig. Und: Man sollte das Büchlein nicht allzu ernst nehmen.

Charlotte Roche: Feuchtgebiete. DuMont Verlag, Köln 2008
ISBN-10 3832180575
ISBN-13 9783832180577
Gebunden, 220 Seiten, 14,90 EUR