Heute vor 20 Jahren war einer der wenigen Momente, als ich gern in Berlin gelebt hätte. Sogar im Osten. Ost-Berlin wurde ja von der DDR-Führung systematisch bevorzugt. Da gab es nicht nur H-Milch und jederzeit Cabinet, sondern auch die Mauer, die dann am Abend überrannt wurde. Da wäre ich gern dabei gewesen, am allerliebsten natürlich als Zuschauer auf der Westseite. Da waren einfach die komfortabelsten Plätze, auch an weniger aufregenden Tagen.

So kenne ich den Mauerfall selbst nur aus dem Fernsehen. Es war aber ein großartiges Programm, ohne Einschränkung. Schon, dass es überhaupt eine Live-Übertragung einer Pressekonferenz mit Mitgliedern des ZK der SED im DDR-Fernsehen gab, war ein Novum. Dass der bissige Fragen von Westjournalisten nicht gewohnte Schabowski dann derart patzte, war das Bonbon, das weit reichende Folgen hatte.

Insgesamt halte ich den Mauerfall für überschätzt  und vor allem das heute jubilierende Getöse darob für etwas, das mitunter den Eindruck erweckt, die Helden und wahren Mauerschleifer seien Schabowski, Gorbatschow, Bush und vor allem Helmut Kohl gewesen. Dabei wäre früher oder später die Mauer sowieso gefallen. Dass es gerade als Folge eines Missverständnisses sein musste, ist indes eine zu verschmerzende Glosse.

Ein augenfälliges Phänomen ist, dass insbesondere unter den ehemals sehr Systemnahen, und zwar, je später, umso mehr, fast jeder gegen Diktatur, Mauer und Mangelwirtschaft gewesen zu sein scheint. Manchmal fragt man sich, ob man sich die Mühe der Montagsdemonstrationen nicht hätte sparen können, wenn die sowieso alle schon immer für Freiheit und Einheit waren.

Nein, es waren ein paar Helden mehr als die großkopferten und medial omnipräsenten. Die großen Tage der vielen unbekannten Helden waren die bis zum 9. Oktober 1989, als es noch Mut bedeutete, in Leipzig auf die Straße zu gehen. Da war der Wohnort Leipzig wiederum ein Vorzug. Hier zum Helden zu werden war nicht mehr als eine Frage des Anstands, auch wenn es bis zum Abend des 9. Oktober 1989 noch nicht einmal sicher war, diesen Tag zu überleben. Anderswo ging das erst später los.

Solche Dinge erlebt man nicht alle Tage. Auch der 4. November in Berlin war ein großer Tag der friedlichen Revolution gegen die SED. Nach dem 9. November war die revolutionäre Zeit eigentlich fast vorbei. Die Teilnehmerzahlen an Demonstrationen und politischen Veranstaltungen gingen drastisch zurück, die Leute waren zu Besuch im Westen. Die Revolutionäre verschwanden, die Technokraten haben übernommen.

Was Schabowski heute vor 20 Jahren verstolpert hat, hat sich darüber hinaus als praktisches Ventil für die alten Machthaber gezeigt. Nolens volens hat die Maueröffnung den Druck auf die DDR-Elite von der Straße genommen. Inzwischen konnte die SED die Stasi zum Sündenbock erklären und deren Altlasten ent- und die Mitarbeiter versorgen und ihr eigenes Fell ins Trockene bringen.

Und da liegt es heute noch.